Moritz Rappaport                     An Ludw. Aug. Frankl

1808-1880                                                      zum Siebzigsten Geburtstage

(3. Februar 1880)

 

 

Jubelgruß

 

Denk’ ich der Zeit, entschwunden ist sie lange,

Uns unsern frischen, hellen Jugendtagen,

Da lauscht mein Geist, wie man dem Wunderklange

Begierig lauscht von Märchen und von Sagen.

 

Dann steh’ ich, wie auf steilem Felsenhange

Der Wandrer steht, erfüllt von Lust und Zagen,

Mir ist so wohl und dennoch gar so bange,

Und weiß nicht: Soll ich jubeln oder klagen?

 

Der Rückblick, wie so herrlich, lichtumflossen,

Die Rückkehr, ach, unmöglich und verschlossen,

Das Herz verzagt, versinkt in dumpfes Brüten.

 

Da rauscht ein Ton aus längst verklung’nen Stunden,

Die Seele jauchzt, der Trübsinn ist verschwunden,

Sie wandelt wieder unter Duft und Blüthen.

 

 

Eine Frage

 

Ich frag’ mich selbst: Ist es die rechte Weise,

Dem alten Freund den Herzensgruß zu bringen,

Daß er nach hartem Kämpfen, schwerem Ringen,

Von Ruhm umweht, vollbracht die Lebensreise?

 

Laut rauscht die Lust mit mächt’gen Adlerschwingen

In dem beglückten, trauten Heimatskreise,

Da naht der alte Freund fast schüchtern, leise

Und läßt den Mißton in den Jubel dringen.

 

Nicht Andern gleich begrüßt Dich meine Seele,

Dem Herzenston nicht gleicht der Klang der Kehle,

Wie schön und herzlich auch die Worte gleiten.

 

Was uns beseelt, und auch was wir erlitten,

Ein halb Jahrhundert folget meinen Schritten

Und rollt den Vorhang auf vergangner Zeiten.

 

 

Einst

 

Auf halbem Weg’ nicht hab’ ich Dich getroffen,

Nicht auf des Lebens hart getret’nem Pfad,

Gar freundlich hat das Schicksal sich genaht,

Als uns noch war das volle Leben offen.

 

Fremd war die Sorge mit dem Blick, dem schroffen

Der bange Zweifel, allen Unheils Saat,

Im Fühlen und Empfinden lag die That,

Und der Erfolg im Denken und im Hoffen.

 

Wir folgten willenlos dem Zauberklange,

Der Ros’ im Garten, wie auf holder Wange,

Dem Lied im Walde, wie im Musenhaine.

 

Das war ein Lenz so duftend und so blühend,

Ein Morgenroth beseel’gend, farbensprühend,

Es lag die Welt vor uns im gold’nen Scheine.

 

 

Zauberspruch

 

Wir waren jung – man spricht von Zauberworten,

Wem sie bekannt und ihre Wundermacht,

Der locket Schätze aus dem Felsenschacht,

Verborgen tief in grauenhaften Orten.

 

Er spricht sie aus – es springen auf dioe Pforten,

Unnahbar, von Kobolden streng bewacht,

Da glänzt und funkelt unnennbare Pracht,

Und scheu entfliehn die finsteren Kohorten.

 

Wir waren jung, o Zauber sondergleichen!

Nur Jugend hebt den Lebensschatz, den reichen,

Sie kennt den Spruch, und die Dämonen weichen.

 

Sie steigt empor auf blühendem Gefieder

Und steigt die Jakobsleiter auf und nieder,

Ihr Wort Gesang, ihr Ton das Lied der Lieder.

 

 

Abschied

 

Der Lenz verblich, die Studien zu Ende,

Sie trat heran, die schwere Trennungsstunde,

Die Glocken klangen trüb im Seelengrunde,

Als erstes Zeichen ernster Zeitenwende.

 

Wir sprachen nicht, wir reichten uns die Hände,

Kein Wort entquoll dem bang geschloss’nen Munde,

Das Schicksal gab uns da die erste Kunde,

Das Alles flüchtig, dauernd nichts bestände.

 

Und dämmernd stieg es auf mir im Gemüthe,

Vorüber sei die schöne Lebensblüthe,

Und fallen muß sie, soll die Frucht gedeih’n.

 

Ein Abschied war’s vom Freund, vom Ideale,

Vom schönen Jugendtraum, vom Lenzesstrahle,

Es gilt fortan, dem Lebenskampf sich weih’n.

 

 

Letzter Eindruck

 

Wie ich Dich sah im letzten Augenblicke,

as Haupt vom braunen Lockenkranz umwallt,

So stand’st Du stets vor meinem Seelenblicke

In unverändert blühender Gestalt.

 

Nicht abgebrochen war die geist’ge Brücke,

Ein flücht’ges Blatt vereinigte uns bald,

D’rum schien mir’s fast, als wär’s nur Schicksalstücke,

Daß Du gleich mir ermüdet schon und alt.

 

Ein Bild, das früh der Jugendsinn, der frische,

Im tiefen Seelengrunde aufgenommen,

Gleicht einem heil’gen Bild in lichter Nische.

 

Es lebt voll Weihe im Gemüth, im frommen,

Und altert nicht im raschen Lauf der Jahre,

Und unverändert strahlt sein Blick, der klare.

 

 

Innerer Werth

 

Dein ganzes Leben war Erfolg und Ringen,

Und was Du bist, bist du durch eig’ne That,

Kein Mißgeschick vermochte Dich zu zwingen,

Wenn es auch stürmisch, grollend Dir genaht.

 

Dir gab ein Gott schon des Gesanges Schwingen,

Des Liedes Wohllaut, der Gedanken Saat,

D’rum folgte Deinem Streben das Gelingen,

Und Schwung und Thatkraft ebneten den Pfad.

 

Nicht Gunst und Zufall haben Dich erhoben,

Den Doppelkranz hast Du Dir selbst gewoben,

Des Dichters Ruhm und reinster Menschlichkeit.

 

Wenn Ehren Dir im reichsten Maß beschieden,

Du pflücktest nicht die Frucht der Hesperiden

Was Du vollbracht bloß, würdigte die Zeit.

 

 

Innerer Adel

 

Und ritterlich war immer Dein Beginnen,

Eh’ Du durch Fürstenhuld zum Ritter worden,

Fernab vom Treiben der Alltageshorden,

Schwangst Du Dich früh empor zu licht’ren Zinnen,

 

Um einen freien Ausblick zu gewinnen.

Dir gab Natur schon ihren höchsten Orden:

Zu wirken in harmonischen Accorden,

Das Hochgefühl im Handeln und im Sinnen;

 

Natur, die Fürstin aller Souveräne,

Gab Dir den Trieb für’s Hohe und für’s Schöne,

Und hat die Richtung klar Dir vorgeschrieben.

 

Im Ehrenzeichen nicht, bloß im Gemüthe,

Da keimt des echten Adels edle Blüthe,

Und wie Du warst, so bist Du auch geblieben.

 

 

Aus geistigem Borne

 

O glücklich, wem aus reinster Strahlenquelle

Ein Gott den Stern des Geistes hat verliehen,

Wenn alle ird’schen Strahlen rasch verglühen,

Der Stern des Geistes strahlt stets mild und helle.

 

Das Leben, diese stets bewegte Welle,

Vermag ihm keinen Lichtpunkt zu entziehen,

Er kennt das Dunkel nicht, die Wechselfälle,

Die eitlen Schimmer oft so trüb umziehen.

 

Der leere Prunk gleicht aufgeputzten Leichen,

Dem innern Werth nur ziemt das Ehrenzeichen,

Der Ehrenschild für menschlich schönes Streben.

 

Und wie die Gegenwart den Mann erhoben,

Wird auch sein Thun die Nachwelt ehrend loben:

Es war ein segenvolles, edles Leben!

 

 

Blindeninstitut

 

Auf „hoher Warte“ ragt ein Prachtgebäude,

Es ist kein Fürstenschloß, kein Sitz der Reichen,

Und doch bewahrt’s das kostbarste Geschmeide,

Den selt’nen Schatz des Hochsinns ohne Gleichen.

 

Es dient zum Aufenthalt dem grimmsten Leide,

den Lichtberaubten, die im Dunkeln schleichen,

Den Blinden, denen Gott die Augenweide,

Den Strahl des Lichts, im Aufgang ließ erbleichen.

 

Als Bettler klopftest Du an alle Thüren:

„Gebt einen Obulus den blinden Kindern!

Das grausamste Geschick, o wollt es lindern!

 

Das Auge todt, die Welt ein Grab, verschlossen,

Das Licht, das nie sich ihrem Blick ergossen,

O helft! wir wollen es nach innen führen.“

 

 

Palast der Nacht

 

Und wenn im Leben Du sonst nichts vollbracht,

Entzogen Dich dem rauschenden Getriebe,

Nicht mitgeschlagen jene heil’ge Schlacht,

Belebt vom Seelenschwung und reinstem Triebe,

 

Und nur gegründet den Palast der Nacht,

Gemildert Leiden so unnennbar trübe,

Dein Angedenken wäre schon vermacht

Der Nachwelt, daß es unvergessen bliebe.

 

Doch anders spricht der Mund des Weltgerichtes:

„Er war ein Mann der Freiheit und des Lichtes,

Nach Hohem streben war sein Lebensziel.

 

Und ob Jahrhunderte im Wirbel schwinden,

Zwei Monumente werden laut es künden:

Das Schillerbild – der Blinden Lichtasyl.

 

 

Der Dornbusch brennt

 

Der Dornbusch brennt! – Welch’ wunderbare Helle

Entströmt der Gluth, die nimmer sich verzehrt,

Der Dornbusch brennt und bleibt doch unverzehrt,

Er glüht vom Licht der ew’gen Feuerquelle.

 

Begeist’rung ist die Gluth der Strahlenwelle,

Die alles Irdische verschönt, verklärt,

Kein Wetterstrahl, der zürnend niederfährt,

Auflodernd und verschwindend, wild und schnelle.

 

Wie brennen sie, die Dornen dieses Lebens,

Geknickten Glückes und versunk’nwen Strebens,

Die Stacheln in dem dunklen Erdenthale.

 

Da senket mild auf goldigem Gefieder

Begeist’rung sich in uns’re Seele nieder

Und hebt vom Staube uns zum Ideale.

 

 

Begeisterung

 

Oft nahte Dir mit Ungestüm das Leben

In seiner Strenge launenhafter Macht,

Und wenn Du doch im geistigen Erheben,

Was Wen’gen nur gelingt, erreicht, vollbracht,

 

Begeist’rung war’s, ein schwungvoll kühnes Streben,

Die bald die Gluth zur Flamme angefacht,

Zur Flamme, deren Funken nie verschweben

Und nie erlöschen in der Zeiten Nacht.

 

Gar jung verwaist, am frühen Lebensmorgen

Erging an Dich die ernste Ofenbarung:

„Im Schweiß’ des Angesichts für Dich zu sorgen.“

 

Tyrannin Noth riß Dich aus dr Erstarrung

Und reichte Dir die edelste der waffen:

Die Thatkraft, eine Zukunft Dir zu schaffen.

 

 

Nachklänge

 

Wie Jemand, der in trüber Abendstunde

Des Wegs gedenkt, den lange er durchschritten,

Er seufzt, weil aufgerissen seine Wunde,

Schon lang vernarbt, und die er längst erlitten.

 

Er lächelt wie nach einem selt’nen Funde

Der Forscher jauchzt, den er der Nacht erstritten,

Und lauscht und eint zu einem neuen Bunde

Gelöste Theile, so die Zeit durchschnitten.

 

Und so am Abend uns’res ird’schen Lebens,

Wenn schon die Parze, matt vom langen Spinnen,

Den Faden kürzer um die Spindel schlingt;

 

Verfällt die Seele, müde ernsten Strebens,

In tiefes Brüten und in stilles Sinnen,

Dem Echo lauschend, das im Geist erklingt.

 

 

Lautes Denken

 

Ein lautes Denken war’s! Die Brust beklommen,

Sie athmet auf, der Druck zerfloß wie Schaum,

Urplötzlich war es über mich gekommen,

Es brach hervor, ich weiß es selber kaum.

 

Nur einen leisen Ruf hatt’ ich vernommen,

Und mich umrauscht es, wie ein wacher Traum;

Und Bild an Bild, nicht nebelhaft verschwommen,

Erschien es mir im tiefen Seelenraum.

 

Es waren alte, wohlbekannte Gäste,

Sie luden mich zu Deinem Jubelfeste

In einen Kreis, der mir so lieb und theuer;

 

Ein neuer Lenz erschloß sich dem Gemüthe,

Ich sammelte bedächtig Blüth’ um Blüthe,

Und wand Dir einen Strauß zur selt’nen Feier.

 

 

Schlußwort

 

Schwach ist die Hand, die diesen Kranz Dir windet,

Und matt das Aug’, vom Alter fast erblindet,

Doch auf dem alten Boden, dem gesunden,

Hab’ manche frische Blume ich gefunden.

 

Allmählich welkt das Leben, bis es schwindet,

Doch hie und da ein Lichtpunkt sich noch findet,

Aus den Ruinen der versunk’nen Stunden

Tönt Nachhall’ oft von Dem, was mir empfunden.

 

Es kam’ Dein Jubelfest; gleich Lenzeswehen

Traf mich ein Jugendstrahl aus gold’nen Höhen,

Ich sonnte mich am längst entbehrten Strahl,

 

Und wand den Strauß, und sieh! er ward zum Liede,

O halt’ ihn werth, ich bin so alt und müde,

Dich grüßt der Freund vielleicht zum letzten Mal. -